21. November 2024

Sieben Monate Bewährungsstrafe für Bonner AfD-Funktionär

Köln gegen Rechts demonstriert vor Gerichtssaal

In der Hauptverhandlung gegen den Bonner AfD Funktionär Felix Cassel, der nach einem „AfD Bürgerdialog“ in Köln Kalk am 7.4.2019 mit seinem Auto einen Gegendemonstranten anfuhr und mehrere Meter auf der Motorhaube mitriss, wurde heute ein vorläufiges Urteil gefällt. 7 Monate auf 2 Jahre Bewährung wegen gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Unfallflucht. Außerdem muss er 250 Euro Schmerzensgeld an den glücklicherweise nur leicht verletzten Geschädigten zahlen. Seinen Führerschein hatte die Polizei seit der Tat eingezogen, nach einer Wartefrist von weiteren 3 Monaten kann er die Fahrerlaubnis neu beantragen. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.


Es war ein langer Prozesstag am Landgericht Köln. Von 9 bis fast 18 Uhr dauerte die Verhandlung und es machte den Eindruck, dass sowohl der Richterin als auch Staatsanwaltschaft und Nebenklage daran gelegen war, die Strafsache heute endlich in trockene Tücher zu bringen. Die Hauptverhandlung war bereits vor über einem Jahr zum ersten Mal angesetzt und an Verfahrensfehlern gescheitert. Anschließend waren mehrere bereits angesetzte Verhandlungstage verschoben worden. Somit ist für Cassel die möglicherweise angestrebte Taktik, die Urteilsverkündung bis nach der Bundestagswahl hinauszuzögern, heute nicht aufgegangen.


Etliche Tatzeug:innen wurden vor allem von Strafverteidiger Balder aber auch von Cassel selbst eingehend befragt, wie es zum Tathergang im April 2019 gekommen war. Cassel begann seine Eröffnung mit einer rührseligen Geschichte. So wäre ihm erst kurz vor der Veranstaltung im Bürgerhaus Kalk bewusst geworden „wie aggressiv“ der politische Gegner an jenem Tag aufgetreten sei, man habe ihm gar den Hut vom Kopf geschlagen. Das wollte er auch mit einem später vorgelegten Video dokumentieren. Dass er aus dem besagten Video eine entscheidende Szene herausgelassen hatte, in der er mit diesem Hut und Kameramann aus seinem polizeigeschützten „VIP Bereich“ versucht hatte, den Antifaschist:innen mit provozierenden „Interviewfragen“ ein Mikrophon vors Gesicht zu halten, konnte dann jedoch Nebenklagevertreter Reincke belegen. Damit wurde seine Behauptung, er habe den ganzen Tag Angst gehabt mehr als unglaubwürdig. Außerdem beklagte er sich, dass der erfolgreiche Gegenprotest im Saal die Veranstaltung fast unmöglich gemacht habe. Auf dem späteren Rückweg zum Auto habe er sich bedroht gefühlt und sei mit seinem Begleiter daher mit Polizeieskorte dort hingebracht worden. Mit dem Wagen sei er dann auf die Kreuzung Breuerstraße Ecke Kalker Hauptstraße an einer roten Ampel zum Stehen gekommen, als eine „Masse“ von 7 Gegendemonstrant:innen die dortige Fußgängerampel erreichte und überquerte. Ab hier versuchte er ein völlig haltloses Szenario zu skizzieren, dass er und sein Beifahrer sich in einer akuten Bedrohungslage befunden hätten, die seine Tat als Notwehr rechtfertigen könnten. Seine Prioritäten brachte er dabei deutlich zum Ausdruck: „Ich hatte Angst um den Mietwagen, Angst um mich, Angst um Herrn R.“ (seinen Beifahrer)


Sämtliche Zeug:innen und selbst sein Entlastungszeuge R. konnten seine phantasievollen Ausführungen von bedrohlich erhobenen Bierflaschen und Attacken auf das Auto nicht im Ansatz bestätigen. Vielmehr hatten die Betroffenen die Straße in der Absicht überquert, die nächstgelegene Bahnstation zu erreichen, um nach Hause zu fahren. Unter Ihnen befand sich auch ein Rollstuhlfahrer mit seinem Assistenten, auf den Cassel – sobald seine Ampel auf Grün sprang – in drängender und provozierender Weise zurollte und erst an dessen Schienbeinen zum Halten kam. Die entsetzten und lauten Rufe der Beteiligten auf dem Fußgängerüberweg riefen einen Passanten auf den Plan, der von der gegenüberliegenden Seite ein Handyvideo startete. Dieses setzte ein, nachdem Cassel ein paar Meter zurückgesetzt hatte, um dann mit erheblicher Geschwindigkeit (laut unabhängigem Gutachter nur Halbgas) zunächst den Rucksack des Rollstuhlfahrers streifend auf den Geschädigten zufuhr. Dieser konnte sich, ab da startet das Video, nur durch einen beherzten, sportlichen Sprung auf die Motorhabe davor retten überfahren zu werden. Er wurde einige Meter mitgerissen, bevor er sich dank der Fliehkräfte von dem abbiegenden Fahrzeug abrollen konnte und bis auf ein paar Prellungen an den Knien glimpflich davon kam. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gab Cassel dann Vollgas und flüchtete über die Kalker Hauptstraße. Der Geschädigte wurde zur Sicherheit mit einem Krankenwagen ins nächstgelegene Krankenhaus gefahren.


Mit dem Urteil folgte die Richterin weitestgehend den Forderungen von Oberstaatsanwalt Willuhn, der in seinem Plädoyer Cassels „völlig überzogene“ Schilderung einer potenziellen Gefahrenlage, ohne tatsächliche Notwehrsituation kritisierte. So sei wie nicht selten „die Strategie der AfD einer Selbstinszenierung als armes Opfer“ wenig glaubhaft gewesen. Auch Nebenklage Anwalt Reinecke, der jedoch „nur“ 250 Euro Schmerzensgeld für seinen Mandanten erstreiten konnte, da dessen Verletzungen vergleichsweise gering gewesen seien, sprach von diesen Opfer-Lebenslügen der AfD. Der Angeklagte lebe in einer „Phantasiewelt, in der er Opfer seiner eigenen Ideologie“ sei. Während der Geschädigte recht erleichtert schien, dass ihm (vorläufig) Gerechtigkeit widerfahren ist, war Felix Cassel selbst wohl wenig zufrieden mit dem Urteil. Seine Eignung als Jurist dürfte dadurch sehr fragwürdig geworden sein. Ob sein Verteidiger Berufung einlegt, wird sich in der kommenden Wochen entscheiden.
Eine große Portion Realsatire war zuletzt noch Cassels „Abschlussplädoyer“ vor der Urteilsverkündung. Nach einigem Rumgeopfere und Rechtfertigungsversuchen für seine Tat als „Notwehr“ erheiterte er die Zuhörer:innen mit dem Satz: „Dass man in Köln Kalk so mit Gästen und Fremden umgeht, war mir nicht bewusst.“