Nachdem WDR-Intendant Tom Buhrow sich auf der gestrigen Redakteursversammlung des WDR äußerst kritikresistent, zu mindestens gegenüber Kritik der eigenen MitarbeiterInnen gezeigt hat, soll an dieser Stelle nochmals inhaltlich auf die Situation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingegangen werden. Auf der Kundgebung am letzten Samstag hat dazu Charlotte Schwalb, als freie Journalistin einen Redebeitrag gehalten:
„Ich stehe heute hier, weil ich die Haltung und das Agieren des WDR Intendanten Tom Buhrow nicht so stehen lassen kann. Es eine Absage an alles, was mir wichtig ist und was mich ich all die Jahre als Journalistin angetrieben hat, kritischer Journalismus, der auch unbequem sein kann und muss, und Pressefreiheit. Alles Dinge, die zu den aufgaben des öffentlich-rechtliche Rundfunks gehören.
Zur Erinnerung: Aufgabe des öffentlich-rechtliche Rundfunk ist es, in seinen Angeboten die “demokratischen Bedürfnisse unserer Gesellschaft zu erfüllen”, den “gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern”, “die Würde des Menschen zu achten und zu schützen” und “die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinungen anderer zu stärken”. So steht es zumindest im Rundfunkstaatsvertrag.“
Seit fast drei Jahrzehnten arbeite ich als freie Journalistin für diverse Sendeanstalten des Landes. In all diesen Jahren habe ich leider miterleben müssen, wie die innere Zensur in den Köpfen meiner Arbeitgeber*innen, Vorgesetzten und Kolleg*innen angewachsen ist. Das ist umso erschreckender, weil meines Erachtens, neugieriger, aufklärungswilliger und unbequemer Journalismus unabdingbar sind für eine funktionierende Demokratie
Jetzt wurde ich kurzfristig gebeten, heute etwas zu der #Omagate-Debatte zu sagen. Sehr kurzfristig für einen Menschen, wie mich, der eher langsam, gründlich und langfristig recherchiert. Daher soll mein Beitrag heute v.a. aus Zitaten bestehen. Zitaten von Menschen, die sich schon länger mit der Thematik befasst haben.
Zuerst möchte ich Kurt Tucholsky zitieren, den ich sehr verehre und der mein journalistisches Schaffen geprägt hat: Er hatte in den 20ern des letzten Jahrhunderts zum Thema „Was darf Satire?“ einen Artikel im „Berliner Tageblatt“ veröffentlicht:
„Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“
Kurt Tucholsky, Berliner Tageblatt, 27.01.1919
Kurt Tucholsky dringt noch tiefer in das Wesen der Satire ein, und darum geht es u.a. auch hier und heute. Nämlich um das Was muss, was darf, was darf nicht gesagt werden:
„Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Kurt Tucholsky, Berliner Tageblatt, 27.01.1919
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.“
Die dicken Kraken sind die, die versuchen unser Meinungsbild zu bestimmen. Die, die erst behaupteten, in Deutschland dürfe man nicht mehr frei das sagen, was man denkt und jetzt das freie Reden selbst zensieren, wenn es ihnen nicht in den Kram passt. Ihr Einfluss hat schon längst die Medien erreicht, die inzwischen freiwillig einknicken und damit sich selbst zensieren.
Die Zitate von Tucholsky stammen übrigens aus einem seiner Texte, die er am 27.01.1919 1919 im Berliner Tageblatt, (Nr. 3) veröffentlicht hat. Soweit zur historischen und gleichzeitig tagesaktuellen Realität.
Ganz aktuell möchte ich gleich noch aus dem Text eines Kolumnisten zitieren, der schon die wichtigsten Punkte zusammengefasst hat, Stephan Anpalagan. Ich habe ihn gefragt, da er selbst nicht kommen kann, ob es für ihn ok ist, wenn ich aus seinen Texten zum Thema zitiere und er hat zugestimmt.
Stephan Anpalagan, Diplom-Theologe, Kolumnist, Unternehmensberater und Mitglied der Band microClocks hat in seinem Text “Wir müssen reden. Über Tom Buhrow” sehr treffende Worte gefunden für einen beschämenden, wütend machenden und im Kern tief absurden Vorgang. Denn nicht das Oma-Lied ist das Problem, sondern die Tatsache, dass das Video noch am selben Tag, Freitag, den 28.12.2019, anscheinend von der Redaktionsleitung aus dem Netz genommen wurde und sich der Intendant des WDR, Tom Buhrow, am nächsten Tag dafür entschuldigte mit den Worten:
„Ich will einen Fehler eingestehen und mich entschuldigen, ohne Wenn und Aber. Das Video mit dem Oma-Lied war ein Fehler. Mein Vater ist keine Umweltsau. Er hat sein Leben lang hart gearbeitet und versucht, anständig zu leben. Ich habe mein Leben darum gekämpft, Menschen zu vereinen und nicht zu spalten.“
Tom Buhrow, WDR
Tom Buhrow, WDR Intendant und demnächst wohl auch ARD Vorsitzender, hat leider offenbar nicht nur das Wesen von Satire NICHT verstanden, denn die soll polarisieren, wehtun, zum Nachdenken anregen. Sie soll mit Nichten schön sein. Sondern das Gegenteil auslösen: nicht streicheln, sondern stechen. Im WDR-Video wurde der Generationenkonflikt zugespitzt und nicht „deine“, „meine“ Oma oder „unser aller Omi“ beleidigt. Dass das nicht jedem Menschen gefällt, bringt Satire mit sich. Und das muss Demokratie schlicht und ergreifend aushalten.
Nicht nur hat er offenbar das Wesen von Satire nicht verstanden, sondern er hat sogar noch schmerzhaft einen drauf gesetzt, indem er seine Aktion im Gespräch mit den Verantwortlichen der WDR2 Redaktion, also seine eigenen Mitarbeiter*innen, von hinten durch die Brust angreift und sie fragt, ob sie „…einer Umdichtung des Lieds auch dann zugestimmt hätte, wenn anstelle von einer Oma von „Ali“ die Rede gewesen wäre…..“ Was für ein Zynismus.
Tom Buhrow ist leider nicht der einzige, der vor demokratiefeindlicher Meinungsmache zurückschreckt. Und es sind nicht nur rechtsextreme Kräfte, wie die aus der Afd, die hier Druck machen. Auch Mitglieder der CDU, wie der NRW Ministerpräsident Armin Laschet, oder der FDP Vertreter Thomas Nückel, derzeit Mitglied im Rundfunkrat, mischen öffentlich mit und greifen den WDR wegen des Omavideos an.
Stephan Anpalagan hat dazu treffende Formulierungen und Beispiele gefunden, dass das sogenannte #Omagate nicht das einzige Gate war, das den freien Journalismus in den letzten Jahren getroffen hat.
Hier Auszüge aus seinem Text „Wir müssen reden. Über Tom Buhrow“ (Quelle: https://www.facebook.com/stephan.anpalagan/posts/2617541918281325?__tn__=K-R )
„Das Traurige an diesem Oma-Ali-Rechtfertigungsunfall ist leider: Er stimmt nicht einmal. Gerade der öffentliche Rundfunk war in der Vergangenheit beeindruckend konsequent damit, rechte Grenzüberschreitungen zu verteidigen und linke Meinungsäußerungen im Nachgang zu bedauern und zu löschen.
Beispiele:
– Als während eines Interviews mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Kameramann mit einer Jacke der Punkband Slime zu sehen war, reagierte das ZDF umgehend auf die Kritik der AfD [2] und bedauerte öffentlich, dass dieser Aufdruck zu sehen war[3].
– Als während einer Folge der Serie “Polizeiruf 110” an der Bürowand der linken Filmfigur ein “FCK AFD”-Aufkleber zu sehen war, reagierte das NDR Fernsehen umgehend auf die Kritik der AfD, sprach von einem Versehen und retuschierte den Aufkleber für weitere Ausstrahlungen weg [4].
– Als während der WDR-Sendung “live nach neun” ein Kaffee-Experte mit dem T-Shirt-Aufdruck “Barista, Barista! Antifascista!” zu sehen war, reagierte der WDR umgehend auf die Kritik der rechtsextremen und AfD-nahen Organisation “Ein Prozent” und retuschierte das T-Shirt für weitere Ausstrahlungen weg [5]. Es dauerte nicht lange bis dem WDR auffiel, dass der T-Shirt-Spruch satirisch gemeint und völlig unpolitisch war, sodass die Verantwortlichen ein zweites Mal ihren Fehler bedauern und das T-Shirt wieder in die Mediathek hineinretuschieren mussten.
– Als während der Übertragung eines AfD-Parteitags auf PHOENIX ein Gerätekoffer mit den Worten “Say no to racism”, “ Schöner Leben ohne rechten Hass” oder “Bunt statt braun” zu sehen war, reagierte phoenix umgehend auf die Kritik der AfD und bedauerte öffentlich, dass dieser Aufdruck zu sehen war [6]. Was genau an einem Aufkleber zu bedauern ist, der Rassismus und Hass verurteilt, konnten die Verantwortlichen allerdings nicht konkret benennen.
Erst gestern schrieb ich(Stephan Anpalagan 31.12.19 FB) dass “Asylkritiker” und “besorgte Bürger” einen besonders kurzen Draht in die Chefredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender hätten [7]. Dabei soll nicht unterschlagen werden, wie exklusiv er auch ist. Es ist nämlich bei weitem nicht so, dass die Verantwortlichen des öffentlichen Rundfunks auf j e d e Art der Kritik mit Einsicht, Bedauern und Löschung reagieren.
Beispiele (Quelle: S.Anpalagan):
– Als Frank Plasberg mit Uwe Junge einen Politiker der AfD einlud, kritisierte sogar der Rundfunkrat, dass dem rechtsradikalen Studiogast zu viel Zeit eingeräumt wurde [8]. Tom Buhrow hingegen stellte sich hinter Plasberg und verteidigte die Einladung [9].
– Als Frank Plasberg in seiner Sendung “Hart aber Fair” eine Gesprächsrunde mit “Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?” [10] betitelte, verteidigte der WDR Plasberg mit den Worten: “Die Diskussion zeigt, wie kontrovers das Thema “Heimat” wahrgenommen wird. Genau diese Diskussion wollen wir mit unseren Gästen in der Sendung führen und abbilden” [11].
– Als der Kabarettist Uwe Steimle mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rechtspopulismus von sich reden machte[12] und mit einem “Kraft durch Freunde” T-Shirt posierte [13], verteidigte der MDR Steimle mit den Worten “Uwe Steimle ist Kabarettist und Satiriker. In den Sendungen, die der MDR mit ihm als freiem Mitarbeiter produziert, achten wir darauf, dass seine Satire auch als solche erkennbar ist” [14].
Im Dezember 2019 hat sich der MDR dann doch noch von Uwe Steimle getrennt. „Steimles Welt“ wir 2020 nicht mehr fortgesetzt werden.– Als der Kabarettist Dieter Nuhr über mehrere Sendungen hinweg die 16-jährige Greta Thunberg beleidigte, verteidigte das rbb Fernsehen Nuhr mit den Worten: “Satire ist aus unserer Sicht nicht zuletzt dann relevant, wenn sie aneckt, Widerspruch auslöst und polarisiert. Dieter Nuhr buhlt nicht um Zustimmung und hält deshalb, ebenso wie sein Sender, Widerspruch aus.” [15].
Gerade diese unerträglich überhebliche Selbstbeschreibung, wonach Satire anecken und polarisieren solle und öffentlich-rechtliche Sender nicht um Zustimmung buhlen, sondern Widerspruch aushalten würden, erscheint angesichts des Duckmäusertums der vergangenen zwei Tage, wie eine eigene Form der Satire.
Als Journalist*innen werden wir immer mehr von Rechtskonservativen, Rechtsextremen und Neonazis angegriffen und nicht nur im Netz, sondern auch im realen Leben. Weil wir über Rechtsextrem, Rassisten und menschenverachtende Tendenzen in der Politik, der Gesellschaft, den Sicherheitsorganen oder auf der Straße berichten. Wir werden von Anklagen von Rechtsanwälten, die uns einschüchtern wollen, überschüttet. Morddrohungen im Netz, per Telefon oder per Post, Angriffe mit Messern Schraubenschlüsseln und anderen Gerätschaften sind inzwischen Alltag. Gerade deshalb sind wir Journalist*innen angewiesen auf Intendant*innen, Chefredakteure*innen, Redakteur*innen und Kolleg+innen mit Rückgrat. Nicht auf Menschen, die einknicken.
In diesem Sinne hoffe ich für das neue Jahr, dass Einsicht folgen wird, dass nicht eine undefinierbare virtuelle Menge bestimmt, was aufrechter Journalismus, was Satire ist und was tatsächlich gesagt werden darf und muss.
In diesem Sinne – hoffen wir, dass die Wahrheit nicht zuerst stirbt. Auf ein kritisches Debattefreudiges Jahr 2020“.