Kraft und Grenzen des Internationalismus
Vom „vereinten Proletariat aller Länder“ über die „Solidarität mit der nationalen Befreiung“ und „Globalisierungskritik“ zu „No Border – No Nation“.
Der Internationalismus war ein konstituierendes Element aller Oppositionsbewegungen zu den national formierten bürgerlichen Gesellschaften des 19. Und 20. Jahrhundert.
Wurde die alte Arbeiterbewegung von Kaiser Wilhelm II deshalb noch verächtlich als vaterlandslose Gesellen denunziert, entstand die Neue Linke der 1968er Jahre im Spannungsfeld des Niedergangs des alten proletarischen Internationalismus und des Aufbruchs der kolonialisierten Völker zum nationalen Befreiungskampf, der nach maoistischer Diktion in eine befreite Welt münden sollte.
Diese historische Situation brachte unzählige Solidaritätskomitees, Aktionsgruppen, Arbeitskreise hervor, die im Nachhinein Internationalismus Bewegung genannt wurden.
Die Motivationen der Akteure waren dabei unterschiedlich. Grundlage für alle Varianten, ob der christlich, marxistisch oder eher sozialdemokratisch inspiriert, war die moralische Parteinahme für die Armen in der „Dritten Welt“ gegenüber den reichen imperialistischen Staaten, allen voran die USA und – für einen Teil auch – der „sozialimperialistischen“ Sowjetunion. Durch die Entlarvung des Engagements bundesdeutscher Unternehmen in den Ländern der „Dritten Welt“ lies sich die profitorientierte Verkommenheit von Staat und Gesellschaft der BRD (oder kurz des „Schweinesystems“ hier) in allen Varianten gut aufzeigen. Und schließlich boten die revolutionären Kämpfe der Befreiungsbewegungen gegen die letzten Kolonialregimes in Afrika und gegen die mit dem „Westen“ kooperierenden Bourgeoisien südamerikanischer Diktaturen eine fast libidinös besetzte Projektionsfläche für eigene revolutionäre Gelüste, die in den Metropolen kapitalistischer Hegemonie nicht zu befriedigen waren.
Die hauptsächlichen Adressaten der Solidaritätsbewegung waren zunächst Vietnam und Kambodscha, nach dem CIA Putsch in Chile verlagerten sich die Hauptaktivitäten nach Lateinamerika und fanden schließlich in den antiimperialistischen Bewegungen Mittelamerikas, insbesondere im postrevolutionären Nicaragua der 1980er Jahren, einen Höhepunkt. Viele Aktivitäten aus dieser Zeit, auch die Ausläufer der weltweiten Antiapartheitsbewegung gegen das rassistische Siedlerregime in Südafrika, sind für Köln dokumentiert. Diese Aktivitäten öffneten den Raum für viele wertvolle Bewegungen, Erfahrungen und boten viele Anziehungspunkte für kritische Menschen.
Auf der Veranstaltung wollen wir mit einigen Blitzlichtern an diese Zeit erinnern.
Nach der Phase der Unterstützung der kämpfenden Befreiungsbewegungen setzte nach deren Niederlage bzw. deren Machtübernahme Ernüchterung und Desillusionierung ein. Die Hoffnung auf den Beginn der Weltrevolution in der Dritten Welt starb. Diese Bewegung zerbrach aber nicht nur an vielen haltlosen Projektionen auf die „Verdammten dieser Erde“, sondern wurde auch von der Veränderung der weltweiten Wertschöpfung, die kaum Spielräume für nationale, emanzipatorische Entwicklungen zuließ, zur inhaltsleeren Option.
Stattdessen richtete sich die Bewegung ein, erreichte Nichtregierungskontaktezu sichern. Projekte im Großen wie im Kleinen, das heißt Dritte-Welt-Läden, Kaffeekampagnen und Allerweltshäuser, gingen an den Start. Bestehende NGOs wurden wichtiger, neue wurden gegründet. Inhaltlich begann die Bewegung, sich verstärkt der Kritik weltwirtschaftlicher Strukturen und Organisationen zuzuwenden. 30.000 demonstrierten 1985 in Bonn gegen den G7-Gipfel und 80.000 in „Westberlin“ 1988 gegen die Tagung von IWF und Weltbank,
Die Internationalismus-Bewegung heute sieht anders aus als damals. Nach einer Depression in den 1990er Jahren, deren Ausdruck auch die eher müden Aktivitäten zum G8 Treffen in Köln 1999 waren setzte eine Phase antinationalistischer Kritik der Befreiungsbewegungen ein und es entstand ein erstaunlich breiter, bunter Strauß an Aktivitäten, die Antiglobalisierungsbewegung: von aktionsorientierten Gruppen wie Attac bis hin zu Gruppen die sich der Lobbyarbeit im Kontext der internationalen NGOs verschreiben haben.Daneben existieren aber auch weiterhin Solidaritätskampagnen mit ausdrücklich nicht national orientierten gesellschaftliche Befreiungsmodellen, wie bspw. Chiapas und Rojava.
Diese Bewegung, meist ideologisch postkolonial orientiert, ist heute eng verquickt mit den recht breiten Aktivitäten zur Unterstützung der Menschen, die im Zuge einer weltweiten Migrationsbewegung von der Peripherie in die Herrschaftszentren des Kapitalismus kommen.
Die Mobilisierungsfähigkeit der Bewegung scheint wenig gebrochen, waren 1988 bei der IWF/Weltbanktagung in Westberlin ca. 80.000 Menschen auf der Straße, waren es in Hamburg bei den Protesten gegen das G20 Treffen 2017 ungefähr ebenso viele Teilnehmende.
Im zweiten Teil der Veranstaltung werden einige Aktive über diese aktuellen Ansätze berichten, die viel Stoff für eine angeregte Diskussion bieten werden – übrigens in Räumen eines Vereins aus dem Kontext der 1980er Jahre, der 2018 seinen 30. Geburtstag feiert und heute so wertvoll wie noch nie ist.
Donnerstag 12. Juli 2018, 19:30-22::00 Uhr, Allerweltshaus Köln e.V., Körnerstraße 77-79